Ein Glücksfall für das Salzburger Adventsingen

Schausberger überreichte den Reiser-Preis '97 an den Komponisten, Musikwissenschafter und Musikpädagogen Prof. Wilhelm Keller
Salzburger Landeskorrespondenz, 28. Februar 1997

LK Landeshauptmann Univ.-Doz. Dr. Franz Schausberger überreichte heute Sonntag, 2. März, im Kaisersaal der Residenz den vom Verein Freunde des Salzburger Adventsingens gestifteten und mit 50.000 Schilling dotierten Tobi-Reiser-Preis 1997 an Prof. Wilhelm Keller. Der Preis wird heuer bereits zum sechsten Mal vergeben. Kompositionen von Prof. Keller sind seit dem Jahre 1964 beim Salzburger Adventsingen zu hören. Daß Wilhelm Keller für das Salzburger Adventsingen gewonnen werden konnte bezeichnete der Landeshauptmann als wahren Glücksfall, ähnlich wie Karl Heinrich Waggerl. Musikalisch umrahmt wurde die Preisverleihung vom Juvavum Brass Ensemble und dem Collegium Musicum Salzburg unter Prof. Albert Anglberger, die Kompositionen von Wilhelm Keller (Vier Jahreszeiten, Stern der Hoffnung, Engel) interpretierten.

Wilhelm Keller habe sich, wie nur ganz wenige Komponisten, Musikwissenschafter und Musikpädagogen seiner Zeit, umfassend und tief mit dem Volkslied insgesamt und dem Salzburger Volkslied im besonderen auseinandergesetzt, mit den Texten, den Melodien und der traditionellen Mehrstimmigkeit und sei so neben Cesar Bresgen der hervorragendste Kenner des Salzburger Volksliedes geworden, so der Landeshauptmann in seiner Ansprache. Zur hervorragenden Kennerschaft sei aber auch eine rasch spürbare große Wertschätzung und persönliche Verbundenheit zum Salzburger Volkslied und zur Salzburger Volkskultur gekommen, so der Landeshauptmann weiter. Beides, die Kennerschaft und die große persönliche Wertschätzung Wilhelm Kellers zu Volkslied und Volksmusik haben Tobi Reiser neben der besonderen kompositorischen Leistung des Künstlers beeindruckt, als er auf der Suche nach einem Komponisten für sein Adventsingen war, dem durch die Übersiedlung in das Große Festspielhaus neue musikalische Aufgaben gestellt waren. So war es sicher kein Zufall, daß die Wahl auf Wilhelm Keller fiel.

Wichtig war und ist Keller die Verbindung von Forschung und Pflege sowie die Verbindung von Volkskunst und Hochkunst. Dem Komponisten dürfte aus seiner Beschäftigung mit der Volksmusik manche Anregung zugeflossen sein; am deutlichsten dort, wo er für beziehungsweise mit Kindern arbeitet oder wo der Musik eine klar vorgegebene, stilistisch umrissene Funktion zukommt, wie beispielsweise in seinen Beiträgen zum Salzburger Adventsingen. Unabhängig aber von dieser kreativen Beziehung zur Volksmusik habe sich Wilhelm Keller um eine ernsthafte Durchforstung salzburgischer Volksmusik bemüht.

Die erste große Komposition, die Wilhelm Keller für das Salzburger Adventsingen im Jahre 1964 schuf, die sogenannte "Wölfe Kantate", zeigte, daß Tobi Reiser 1964 gut gewählt hatte. Wilhelm Keller hat sich hier wie auch bei seinen späteren Kompositionen fürs Adventsingen nicht einfach die Aufgabe gestellt, zu einem geeigneten Volkslied eine aufwendige Bearbeitung für Chor und Instrumentalensemble zu schreiben. Ihm ging es darum, eine harmonische Verbindung zu schaffen von schönen überlieferten Salzburger Volksliedern und ganz persönlicher, zeitgemäßer künstlerischer Aussage. Es ist ihm gelungen, ausgehend von der Vitalität elementarer Musik und der dem Salzburger Weihnachtslied innewohnenden berührenden Gemütstiefe Werke zu schaffen, die Hochkunst und Volksmusik, die zeitgemäßes persönliches künstlerisches Schaffen und kleine, namenlose Kunstwerke aus dem Volk, die Amateure und Berufsmusiker in bisher kaum genannter Harmonie zu vereinen imstande sind.

Noch etwas kommt dazu, das sicher nicht minder zählt: Hier sind Musikwerke entstanden, die - anders zwar als das einfache Volkslied, aber doch auch ganz tiefgehend - das Gemüt, das Herz der Sänger und davon ausgehend der Zuhörer anzusprechen vermögen. Und das nicht nur in den Jahren des Entstehens, sondern immer wieder aufs neue, wie die Wiederholungen der letzten Jahre zeigten.

Falscher Geburtstag "eingeschlichen" - Preisverleihung künftig am 1. März

Der Vereinsobmann Dr. Roland Floimair verwies darauf, daß Tobi Reiser der Ältere heuer seinen 90. Geburtstag gefeiert hätte. Bei den Recherchen für die Tobi-Reiser-Biographie, die im Sommer fertiggestellt sein soll, fand man heraus, daß der große Volksmusikant nicht am 2. sondern am 1. März geboren ist. Daher werden künftige Preisverleihungen an diesem Tag stattfinden. Unerklärlich bleibe, wie sich der falsche Geburtstag "einschleichen" konnte; die Entdeckung löste selbst in der engsten Familie Reisers großes Erstaunen aus, so Floimair.

Vielseitigkeit in der Einheit

Prof. Walter Deutsch stellte seine Laudatio für Wilhelm Keller unter das Motto "Vielseitigkeit in der Einheit" und würdigte Keller als eine hochgeachtete Persönlichkeit im Musikleben Salzburgs und als anerkannten Fachmann in der Musikpädagogik des deutschsprachigen Raumes.

1962 schuf Keller nach und nach die Voraussetzungen für ein Salzburger Volksliedarchiv. Die Kriegsereignisse und die unsachgerechte Aufbewahrung des seit einem halben Jahrhundert zusammengetragenen Materials haben die Unterlagen stark dezimiert und zu einem undurchschaubaren Konglomerat werden lassen. Keller hat entsprechend den Richtlinien des Österreichischen Volksliedwerkes eine Ordnung in die Unterlagen gebracht und damit die Grundlage für das heute wohlbestellte Archiv des Salzburger Volkshilfewerkes geschaffen, so Deutsch.

Kellers weihnachtlicher Liedsammlung, die er gemeinsam mit Cesar Bresgen herausgegeben hat, ging eine stilkundliche Untersuchung zur melodischen Struktur des weihnachtlichen Volksliedes in Salzburg "voraus". Es sei selten, daß in der Volksmusikforschung Österreichs melodisch relevante Aussagen zu Stil und Struktur vorliegen, weshalb Kellers Werk besonders zu würdigen sei, sagte der Laudator. Bemerkenswert in Kellers Schaffensprozeß seien auch die sich ergänzenden Eigenschaften Ernsthaftigkeit und Heiterkeit. Zur Ernsthaftigkeit, mit der er seine Chor- und Orchesterwerke schafft, tritt die Heiterkeit seiner Spiellieder, Sprachspiele und Kanons, die er für Kinder, Jugendliche und Junggebliebene komponiert hat. Zwischen 1970 und 1975 gab er vier dieser grundlegenden kleinen Werke unter dem Titel "Ludi musici" heraus, die in der musikalischen Jugenderziehung einen bedeutenden Stellenwert genießen.

Die bisherigen Träger des Reiser-Preises sind:

Wastl Fanderl (1992), der Pongauer Viergesang (1993), Anton Mooslechner und Matthias Häusler (1994), Philipp Meikl (1995) sowie Charly Rabanser und die Theatergruppe Kulturexpreß m2 Neukirchen (1996). B40-11A

Franz Neumayr wird den Redaktionen Fotos für das Landespressebüro von der Tobi-Reiser-Preisverleihung an Prof. Wilhelm Keller anbieten.