(LK) Warum sich oberösterreichische Lochener gern im Salzburger Wasser erfrischen, weshalb Bayern manch Salzburgern den Kopf abschlugen und wie es kommt, dass man fürs Biertrinken ausgepeitscht wurde, verrät ein aktueller Grenzfall, der heute, Mittwoch, 6. Februar, auf www.salzburg.at, der Plattform für die Europaregion veröffentlicht wurde.
Die Innviertler Gemeinde Lochen, die sich seit Kurzem mit dem Zusatz "am See" auszeichnen darf, endet auf einer Länge von vier Kilometern unmittelbar am Ufer des gänzlich Salzburger Mattsees. Sogar ein gemeindeeigenes Strandbad gibt es, ein Sprung ins kühle Nass ist bereits eine Grenzüberschreitung ins Salzburgische. Keine Affäre in heutigen Zeiten, allerdings gab es aufgrund der Grenzlage in der Vergangenheit zahlreiche Auseinandersetzungen und kuriose Rechtsfälle.
Warum ausgerechnet Lochen? 1398 erwarb das Erzstift Salzburg als letzte bedeutende Salzburger Gebietserweiterung die passauische Herrschaft Mattsee. Diese bestand nach verschiedenen Änderungen schließlich aus den Ämtern Mattsee, Lochen, Schleedorf, Obertrum, Seeham und Berndorf. Im Norden war Lochen vom Herzogtum Bayern umgeben. Untertanen und Grundbesitz des Gebiets von Lochen waren zwischen bayerischer und salzburgischer Herrschaft aufgeteilt. Und damit nicht genug: Einige der Bewohner Lochens standen direkt unter der Grundherrschaft des Stifts Mattsee, waren aber dem Erzstift Salzburg gegenüber wehrpflichtig.
Höchststrafe für Bayern
Eine kuriose Sonderstellung zeigte sich auch im Rechtswesen. Üblicherweise wurden geringe Vergehen von den Pfleggerichten behandelt, die Blut- und Kriminalgerichtsbarkeit wurde in Salzburg zentral ausgeübt. Anders in der Herrschaft Mattsee: Hier behielten es sich die bayerischen Herrscher vor, über Leben und Tod zu entscheiden. Delinquenten und Gerichtsakten wurden dem berittenen Braunauer Beamten im (!) bis zum Sattel reichenden Wasser des Mattsees in einem Amtsschiff übergeben. Soweit die Theorie. Denn bei Unklarheiten verzögerte sich die Auslieferung, etwa weil sich die Braunauer Behördenvertreter nicht weit genug ins Wasser begeben wollten und die Salzburger Kollegen genau darauf pochten.
Salzburg kaufte sich von den Bayern zeitweilig die Halsgerichtsbarkeit zurück und versuchte mit Verträgen einen einheitlichen Vollzug sicherzustellen. Doch selbst nachdem 1779 das Innviertel zu Österreich gekommen war, blieben noch Kompetenzschwierigkeiten, die erst mit dem Aufgehen Salzburgs in das Österreichische Kaiserreich 1816 endeten. Die unklaren Grenzverhältnisse wussten auch Räuberbanden für sich auszunutzen, gegen sie wurden sowohl von bayerischer als auch von Salzburger Seite Grenzstreifen ausgeschickt. Der Lochener Heimatforscher Herbert Handlechner berichtet auch von einem regelrechten Streit um die Leiche eines beim Wildern getöteten Friedburgers, die von beiden Seiten beansprucht wurde. Selbstmörder, die sich erhängt hatten, hingen oft mehrere Tage unter Bewachung, bis Zuständigkeit und Umstände geklärt waren.
"Nacheile" in die Landeshauptstadt
Komplizierten Übergaberegelungen verdankt auch das Bayrische Platzl in Salzburg seinen Namen. Denn sollte eine im Herzogtum Bayern oder an das Pfleggericht Braunau übergebene "malefizische", also todeswürdige Person nach Salzburg geflüchtet sein, stand dem bayerischen Landesherrn das Recht zu, einen Gesandten mit 72 Reitern nach Salzburg bis vor das Stadttor zu schicken, um den Flüchtigen einzufordern. Im inzwischen innerstädtischen Itzling erinnert heute eine Straße an den vereinbarten Auslieferungsort. Dass von diesem Recht jemals Gebrauch gemacht wurde, ist allerdings nicht belegt.
Es dauerte bis zum Fallen der Grenzkontrollen mit dem Schengen-Abkommen im Jahr 1998, dass diese Form der "Nacheile" wieder rechtens wurde. Denn heutzutage dürfen bayerische Polizisten aufgrund eines deutsch-österreichischen Übereinkommens Flüchtige über die Grenze auch auf Salzburger Gebiet verfolgen und anhalten. Amtshandeln dürfen allerdings dann nur die österreichischen Kollegen.
Gruseln auf dem Richtstättenweg
Ortswechsel zurück ins Grenzgebiet am Mattsee. Die Richtstätte für ausgelieferte Salzburger befand sich im Lochener Astätt. Die Köpfstattsäule aus Untersberger Marmor erinnert noch heute an die blutige Henkerarbeit, die auf Grund und Boden eines in Astätt lebenden Salzburger Untertanen von Bayerischen Scharfrichtern vollzogen wurde. Am 8. Februar 1762 fand die letzte Hinrichtung statt. Ein junges Mädchen wurde enthauptet, nachdem es gestohlen hatte. Aufgrund zuvor verübter Delikte musste sie um den Gegenwert eines Taschentuches ihr Leben lassen.
Der Verein Dorfentwicklung Lochen hat einen 28 Kilometer langen barrierefreien Themenweg zu wichtigen Rechtsdenkmälern im Gemeindegebiet von Lochen erarbeitet. Der 2012 eröffnete Richtstättenweg führt über Mattsee, Gebetsham, Astätt, Berham, Lochen und den Tannberg. Den tragischen "Weg eines Delinquenten" vom Mattseer Gefängnis bis zur Hinrichtung erzählen die Stationstafeln in Mattsee, Gebertsham und Astätt.
Erinnerungskultur im Wirtshaus
Wer glaubt, dass die Geschichte längst die Spuren dieser Vergangenheit getilgt hat, kann sich in Lochen neben dem Richtstättenweg auch kulinarisch eines Besseren belehren lassen. In unmittelbarer Nachbarschaft befinden sich im Ortszentrum der "Bayrische Wirt" (Gasthaus Hauer) und das ehemals salzburgische "Bräu" (Bräugasthof Kriechbaum). In Oberweißau befand sich ein bayerischer Edelsitz (Wirt z'Weissau). Es konnte vorkommen, dass Untertanen, die ihren Durst beim "falschen" Wirt stillten, von der Obrigkeit mit Rutenhieben bestraft wurden. Dieses drastische Nachspiel eines Wirthausbesuchs hatte wohl auch damit zu tun, dass die gelegentlich sich daraus entwickelnden Raufereien von Salzburger, Bayerischen und Mattseer Untertanen ein kompetenzrechtliches Wirrwarr auslösten. r30-60